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Séancen, Schrecken, Spiritismus – Geisterbeschwörungen in den 20er Jahren

  • Marleen Tigersee
  • Nov 9
  • 6 min read

Updated: Nov 11

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Ein dunkler Raum. Es riecht nach Räucherwerk und staubigen alten Vorhängen. Das einzige Licht kommt von ein paar heruntergebrannten Kerzen, die auf einer schäbigen Anrichte stehen. Die Flammen flackern leicht, obwohl kein Luftzug zu spüren ist. Am Tisch in der Mitte des Raumes sitzen ein paar Leute. Im Zentrum der Gruppe ist eine Frau in einem weiten Gewand, die sich mit geschlossenen Augen hin und her wiegt und sich, wie es aussieht, in einer Art Trance befindet. Ein Summen scheint von ihr auszugehen, das immer lauter und lauter wird. Plötzlich bäumt sich der Vorhang auf, ein Taschentuch, das auf dem Boden gelegen hat, erhebt sich wie von selbst und fegt mit hoher Geschwindigkeit durch den Raum. Die Kerzen flackern wie wild und gehen schließlich aus. Das Taschentuch fällt auf den Tisch. Das Summen verstummt.



Der Glaube an das Übernatürliche – So alt wie die Menschheit selbst


Wie man sich vorstellen kann, suchen Menschen seit Anbeginn der Zeit Antwort auf die Frage, was nach dem Tod passiert. Ist damit alles vorbei oder gibt es vielleicht ein Weiterleben in einer anderen Dimension oder auch auf dieser Erde, als körperlose Seele oder Geist? Um das herauszufinden, braucht es eine Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen mit der jenseitigen Welt, und bereits seit der Antike haben sich stets Menschen gefunden, die behauptet haben, dies zu können. Ob es dabei immer mit rechten Dingen zuging, ist schwer zu sagen. Vermutlich waren übernatürliche Dienste zu allen Zeiten ein lukratives Geschäft, vorausgesetzt, man fand ein bereitwilliges und zahlungskräftiges Publikum.



Spiritismus in der Neuzeit


Wer Geisterbeschwörungen nun aber allein in die graue Vorzeit verortet, irrt. Wachsender technischer Fortschritt hat das öffentliche Interesse am Übersinnlichen nicht geschmälert, sondern vielleicht sogar noch verstärkt. Durch Magnetismus und Elektrizität entstanden im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert ganz neue Möglichkeiten, sich der Welt des Spirituellen zu nähern. Wenn es möglich ist, Naturkräfte wie Elektrizität nun durch erleuchtete Glühlampen sichtbar zu machen, könnte dies doch auch mit anderen unsichtbaren Kräften funktionieren, argumentierte manch einer. Ein beliebtes Mittel, solche übersinnlichen Kräfte sichtbar zu machen, war die Fotografie. Schon im 19. Jahrhundert, aber auch bis in die 20er Jahre hinein, etablierte sich die sogenannte Geisterfotografie. Fotografen wie der Engländer William Hope erlangten Berühmtheit mit Aufnahmen, die angeblich die Geister Verstorbener zeigten.



Geisterfotografie von William Hope: In einer Art Rauchwolke sind zwei Gesichter zu sehen
Geisterfotografie von William Hope: In einer Art Rauchwolke sind zwei Gesichter zu sehen

Solche Bilder erfreuten sich großer Beliebtheit und gaben vielen Menschen Hoffnung, dass ihre durch Krankheit oder Krieg zu früh verstorbenen Verwandten und Freunde weiterhin in spektraler Form in ihrer Nähe weilten. Autoritäten wie der berühmte Autor der Sherlock Holmes-Romane Sir Arthur Conan Doyle setzten sich zudem öffentlich für die Echtheit dieser Geisterbilder und anderer paranormaler Phänomene ein, was sicherlich zu der Popularität und der weiteren Verbreitung beigetragen haben durfte. Doch gab es neben den leidenschaftlichen Anhängern auch damals schon viele Skeptiker und so wurde William Hope bald als Betrüger entlarvt: Alte Fotografien der Verstorbenen, die er von seiner Kundschaft bekam, wurden in neue eingesetzt und so ein Bild kreiert, das durch Doppelbelichtung einen geisterhaften Effekt erhielt.



Steigendes Interesse in den 20er Jahren


Es mag niemanden verwundern, dass der erste Weltkrieg und die nachfolgende Spanische Grippe ein tiefes Trauma innerhalb der Bevölkerung auslösten. In wenigen Jahren hatte sich die Bevölkerung auf gewaltsame Art derart minimiert, dass den Hinterbliebene kaum Zeit blieb, den Schock des Verlustes von Familienmitgliedern und Freunden zu verarbeiten. Viele von ihnen suchten nach Antworten, die im Diesseits nicht zu finden waren. Manch einen führte diese Sinnsuche ins Haus eines Mediums, wo bei einer spiritistischen Sitzung oder Séance der Geist des Verstorbenen angerufen wurde. Dabei konnte sich das Medium in eine Art Trance begeben, um dann mit der angeblichen Stimme des Geistes zu sprechen. Eine andere Möglichkeit, Kontakt mit der jenseitigen Welt aufzunehmen, war das Bedienen eines Ouija-Brettes. Dabei handelte es sich um ein mit Zahlen und Buchstaben bemaltes Brett, das über einen beweglichen Zeiger verfügte. Man legte einen Finger auf den Zeiger und wartete auf eine übernatürliche Erscheinung, die diesen Zeiger über das Brett bewegen sollte, bis eine Nachricht entstand. Ähnlich war das Automatische Schreiben, was auch gerne bei einer Séance eingesetzt wurde. Hier wartete das Medium mit Stift und Papier auf den Geist des Angerufenen, der ihre Hand führen sollte, um so eine Nachricht zu übermitteln.



Werbeanzeige für ein Ouija-Board. Das Brett wurde zunächst als Party-Spiel entwickelt.
Werbeanzeige für ein Ouija-Board. Das Brett wurde zunächst als Party-Spiel entwickelt.

Die Popularität des Ouija-Brettes in den Printmedien und der Musik
Die Popularität des Ouija-Brettes in den Printmedien und der Musik

Okkultismus en Vogue


Nach den Schrecken des überstandenen Krieges, der neuen politischen Ordnung und dem starken Wandel der Lebensverhältnisse, die die Menschen in der Weimarer Zeit erleben mussten, war gerade in Deutschland eine tiefe Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung geblieben. Technischer Fortschritt und rasant wachsende Großstädte wie Berlin wurden von vielen als Bedrohung empfunden, in denen Armut, Kriminalität, zwielichtige Gestalten und andere namenlose Schrecken zu finden waren. Dieser düstere Zeitgeist der Nachkriegsjahre wurde von Künstlern wie Otto Dix und George Grosz in grotesk und dämonisch anmutenden Gemälden dargestellt. In Stummfilmen wie Das Cabinet des Dr. Caligari, Nosferatu und Unheimliche Geschichten erscheint die Welt ebenfalls als sinistrer Ort, voller übernatürlicher Gefahren und Rätsel.



Dämonische Elemente im expressionistischem Stummfilm; Ausschnitte aus Das Cabinet des Dr. Caligari (1920), Unheimliche Geschichten (1919) und Nosferatu (1922)
Dämonische Elemente im expressionistischem Stummfilm; Ausschnitte aus Das Cabinet des Dr. Caligari (1920), Unheimliche Geschichten (1919) und Nosferatu (1922)


Die Hinwendung zum Okkulten wurde durch Kunst und Kultur gewissermaßen en vogue, was sich auch ins Private übertrug. Séancen wurden immer populärer und wurden bald nicht nur von Trauernden besucht. Neugier oder Nervenkitzel mag für viele eine Motivation gewesen sein und so nahm auch der Schriftsteller Thomas Mann an mehreren spiritistischen Sitzungen teil, unter anderem im Hause vom sogenannten Geisterbaron Albert von Schrenck-Notzing. Als er Zeuge wird, wie das Medium (ein junger Mann namens Willi Schneider) Gegenstände scheinbar ohne eigenständiges Zutun durch den Raum schweben lässt, bereitet ihm diese Erfahrung Verwunderung und Unwohlsein. Dies beschreibt er in seinem späteren Essay Okkulte Erlebnisse:



Da wird die Glocke genommen– sie wird unmöglicherweise von einer Hand genommen, denn womit sonst, als mit einer Hand, kann eine Glocke am Stiel genommen werden?– wird aufgehoben, in schräger Lage hochgehalten, kräftig geläutet, im Bogen ein Stück durch den Raum geführt, noch einmal geläutet und dann mit Schwung und Geklapper unter den Stuhl eines der Umsitzenden geworfen. Leichte Seekrankheit. Tiefste Verwunderung mit einem Anflug– nicht von Grauen, sondern von Ekel.*





Albert Freiherr von Schrenck-Notzing (l.) und Thomas Mann (r.)
Albert Freiherr von Schrenck-Notzing (l.) und Thomas Mann (r.)


Glaube vs. Aufklärungswille oder Doyle vs. Houdini


So echt diese übernatürlichen Erscheinungen auf viele auch wirkten, konnte man schon damals häufig beweisen, dass es sich nur um inszenierte Schaudarbietungen handelte. Um paranormale Phänomene wissenschaftlich auf ihre Echtheit zu überprüfen, wurden bereits im 19. Jahrhundert eigene Gesellschaften gegründet, wie die Society for Psychical Research in London. Der schon eingangs erwähnte Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle war ein prominentes Mitglied dieser Gesellschaft. Als glühender Anhänger alles Okkulten und Übersinnlichen überwarf er sich mit anderen Mitgliedern, die seiner Meinung nach grundsätzlich feindlich gegenüber dem Spiritismus gesinnt waren. Ein weiteres Zerwürfnis aus ähnlichen Gründen geschah mit dem berühmten Entfesselungskünstler Harry Houdini, mit dem Doyle zuvor eine Freundschaft verband. Houdini hatte einer Séance beigewohnt, in der Doyles Frau als Medium angeblich mit der Stimme von Houdinis verstorbener Mutter gesprochen hatte, was er jedoch stark anzweifelte:


Obwohl meine selige Mutter fast fünfzig Jahre in Amerika verbracht hatte, konnte sie die englische Sprache weder reden, noch lesen oder schreiben – und Lady Doyles Nachricht war in perfektem Englisch.**


Seine Enttäuschung darüber mag den Anstoß dazu gegeben haben, dass Houdini es sich nach einer jahrzehntelangen Karriere als Illusionist schließlich zur Aufgabe machte, falsche Medien öffentlich zu entlarven. Er arbeitete dafür mit der Ermittlerin Rose Mackenberg und ihrem Detektiv-Netzwerk zusammen, die verkleidet Séancen besuchten und durch ausgedachte Geschichten von angeblich Verstorbenen viele Medien überführen konnten, die diese Lügen nicht erkannten und Geister heraufbeschworen, die es gar nicht gab. Houdini machte sich durch diese Enthüllungen viele Feinde, doch konnte ihn dies nicht von seiner Mission abbringen, gegen falsche Medien vorzugehen. Mit Bedauern stellte er 1924 fest:


Mit tiefstem Mitgefühl und Sorge habe ich mit angesehen, wie diese große Welle des Spiritualismus die Welt überrollt. Sie ist zu einer Gefahr für die Gesundheit und die Vernunft geworden.***



Harry Houdini zeigt, wie man Hände aus Kunststoff herstellt. Diese "Geisterhände"  kamen häufig bei Séancen zum Einsatz.
Harry Houdini zeigt, wie man Hände aus Kunststoff herstellt. Diese "Geisterhände" kamen häufig bei Séancen zum Einsatz.

Die Frau mit den hundert Gesichtern: Detektivin Rose Mackenberg in ihren zahlreichen Verkleidungen.
Die Frau mit den hundert Gesichtern: Detektivin Rose Mackenberg in ihren zahlreichen Verkleidungen.



Meine verehrten Damen und Herren,


ich hoffe, Sie haben diesen kleinen Ausflug ins Unheimliche und Übersinnliche genossen. Vielleicht hat es Ihnen ja sogar den ein oder anderen Schauer den Rücken hinunter gejagt. Oder sie haben nun Lust, sich einen der berühmten Grusel-Klassiker der Weimarer Zeit zur Gemüte zu führen. In jedem Fall wünsche ich Ihnen eine angenehmen Start in die dunkle Jahreszeit – lassen Sie es sich gut gehen!



Ihre Marleen Tigersee












*Thomas Mann, Okkulte Erlebnisse, in: GKFA 15.1, 639.

**Harry Houdini, zitiert nach: Matthew L. Tompkins, The Spectacle of Illusion - Magic, The Paranormal & The Complicity of the Mind, London 2019 (meine Übersetzung), 102.

***ebd.


Weitere Literaturempfehlung: Lisa Morton: Calling the Spirits - A History of Seances

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